où est donc le tableau

glotzt nicht so sporadisch
ronald pohl
der standard 04/2005
  Glotzt nicht so sporadisch!
Theaterexperiment in den Nestroy-Sälen: "ou est donc le tableau" von theatercombinat
Von Ronald Pohl

Wien - Heiner Müllers gleißende Prosaüberbelichtung Bildbeschreibung, vor rund 20 Jahren uraufgeführt, gilt als genialer Schwächeanfall der Dramatik - als Pillenknick der szenischen Künste.

Die in Mutmaßungen über ein mögliches Weltende sich ergehende Wortübermalung eines Kinderbildes kreist um mehrerlei: Sie rettet die ehemals virulente (atomare) Bombenangst in ein offen mehrdeutiges Bildsujet hinüber, indem sie vordergründig von Mann und Frau und Haus, von Baum und Vogel erzählt.

Bildbeschreibung leistet, was im Titel ausdrücklich verbürgt steht: Sie blendet die Mechanik des angestrengten Schauen-Wollens in ein blindes Sehen-Können hinüber. "Wer sehen kann, der sehe", raunt Müller, der materialistische Augur der apokalyptisch geschundenen Nachrüstungsseelen. Was man üblicherweise die Wahrnehmung nennt, ist eben nur unter derjenigen Voraussetzung zu leisten, dass man sich über die eigene Schaulust klar wird. Die vollständige Schockgefrierung "kulinarischer" Darstellungsformen ist dabei inbegriffen.

Dann wird es auch nicht stören, dass die szenischen Extremisten von theatercombinat in ihrem neuesten Versuch ou est donc le tableau dreiköpfige Zuschauergrüppchen im Zweistundentakt zu streng abgezirkelten Bildmeditationen in die Leopoldstädter Nestroy-Säle einladen: ein ehemals jüdisches Vaudeville-Theater mit Glasdach und umlaufender Galerie, auf dessen merkwürdig sterilen Fliesen Darsteller in gelber Schutzmontur Müllers Traum von der Endzeit der Toten mit Michel Foucaults Velázquez-Meditationen aus Die Ordnung der Dinge verquicken. Zuletzt wurde dieser vergessene Kulturort als Supermarkt genützt.

Hier gerinnt die szenische Kunst noch einmal - oder schon wieder? - zur planwirtschaftlichen Zielerfassung von üblicherweise ausgesparten Erkenntnisinteressen. Die Darstellerinnen Christine Standfest und Angela Schubot etwa verändern minimal ihre Beziehungen zu Raum, Kontext und "Sache". Die bestünde freilich in der Kunst, die Aufenthaltsorte der Agierenden, vor allem aber szenisch sich Verweigernden miteinander in Beziehung zu setzen.

Die versprengten Zuschauer sind mit der Justierung ihrer Blickachsen also ausreichend beschäftigt, sodass hundert Minuten in spröder Selbstversenkung wie im Flug vergehen. Ein überzeugender Versuch von Regisseurin Claudia Bosse, Routinekram beiseite zu räumen. Und irgendwann einmal, wenn das theatercombinat beim circa siebenundzwanzigsten szenischen Selbstversuch angelangt ist, wird man diese Art von Hungerkünstlertum als seligste Völlerei begriffen haben.

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