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interview vom november 2004
Dorian Bonelli sprach mit Claudia Bosse über
Raumkonzepte und Diskursfelder,
Schreibversuche und Bildbeschreibung,
gescheiterte Utopien
und den Umgang mit Ressourcen.
Raumkonzepte
d.b.: Von letztem Montag ist mir die Behauptung in Erinnerung, das neunzehnte Jahrhundert wäre die Zeit der Industrialisierung, des Fortschritts gewesen und das zwanzigste sei dann sozusagend als das Zeitalter des Raumes zu betrachten. Würdest Du das auch so sehen, daß das ein ganz zentraler Punkt in dieser Zeit ist?
c.b.: Ich kann sagen: für unsere Praxis ist es einer. Die Frage ist: Warum ist es einer für unsere Praxis? Es ist ja interessant, daß es, während man ein immer größeres Angebot an Bildangeboten hat, trotzdem so einen komischen Raumshift gibt, der über Imaginationsräume, über die Sprache geht, über virtuelle Räume. Wobei jeglicher Raum im Internet, das möchte ich nur mal hier anmerken, nach einem ganz homogenen Raumbild konstruiert ist. Das Raumkonzept der Renaissance hat man im internet als sogenannten virtuellen Raum. Und ich denke, die Raumfrage als politische Frage, als gesellschaftliche Frage und als kunstästheti-sche Frage war immer eine wesentliche. Aber, daß das Bewußt-sein jetzt darüber ein anderes ist und die Virulenz eine andere wird, das hängt mit den Territoriumsgedanken, mit den Karto-graphien, mit der zunehmenden Ermangelung von Aushandlungs-räumen zusammen. "Wo gibts eigentlich Orte die zu Aushand-lungsräumen werden, sagen wir mal, zu kollektiven Räumen von Aushandlungsprozessen?" – das ist so ein Moment den ich persönlich wesentlich für eine Kunstproduktion finde. Letztendlich hast du das Sportstadium, du hast die Kirche und du hast viel-leicht noch das Clubbing . Wo hast du eigentlich Orte wo alle anwesend sind? Wo in gewisser Weise eine geteilte Zeit ist? Wo kollektiv Sozialität ausgetragen und Bedeutung produziert wird? Ich denke, das wird zusehends ein Mangel oder ist einer.
von Praxis zu Theorie
d.b.: Und wie kam es jetzt zu dem Projekt "firma raumforschung"?
c.b.: Zu dem Projekt jetzt ... naja ... Also es lagen noch zwei oder drei Projekte dazwischen. Es gab ein Projekt mit dem National-theater in Montenegro, in einem Schwimmbad. Das war eine ganz andere Arbeit und eine ganz andere Arbeitsform. Dann hab ich ohne theatercombinat ein Projekt im Hebbeltheater (Berlin) gemacht, "Belagerung Bartleby", eine hundertstündige theatrale Installation.
Und dabei war immer mehr die Frage: mit welchem Raumbegriff arbeiten wir eigentlich?, um diese, zum Teil intuitive, zum Teil nicht intuitive, zum Teil sehr reflektierte Praxis nochmal mit anderen Kunstfeldern zu kontextualisieren und zu befragen. Es ging um die Frage: Was sind die Implikationen, die Voraussetzungen der Kunstpraxis? Ich kann das jetzt erstmal nur von mir aus beschreiben. Bisher war jede Arbeit immer das Suchen nach einem Raum; wobei der Raum immer ein architektonischer war; er war immer auch seine Lage im städtischen Zusammenhang, immer Gebrauch, Funktion oder auch Geschichte oder Spuren von Geschichte. Und das war der Plafond oder der Untergrund, den man erstmal versucht hat zu analysieren und sichtbar zu machen, um in das hinein mit theatralen Mitteln ästhetische Verschiebungen zu setzen. Man hat versucht, für diese, einem fast selbstverständlich vorkommenden Praktiken, eine Reflexion zu unternehmen und herauszufinden, was da eigentlich kollidiert, wenn an einem be-stimmten Ort eine Performance oder ein Theater stadtfindet. Aus diesen praktischen Erfahrungen entstanden Recherchen. Und dann war irgendwann für mich mal in Lefebvre ein Schlüssel gefunden, in "Anarchitektur". Da gehts ganz stark um den Begriff der Produktion des Raumes; Also darum, daß Raum nichts ist was per se existiert, sondern etwas, das einerseits materielle Komponenten hat, andererseits ein Medium ist und andererseits auch immer wieder ausgetragen und sozial ausgehandelt und verschoben wird. Und es gibt ideelle, es gibt matrielle und es gibt quasi soziale Aushandlungsvorgänge. Und ich glaube, wenn man Kunst produziert und nicht in blackboxes und white cubes geht – also in quasi neutralisierte Kunsträume, wo man imaginäre oder wie immer materialisierte Narration macht – dann ist ja die Frage, wie man sich mit diesen Voraus-setzungen, oder damit, wie ich den Raum wahrnehme, ihn als Zeitkomponente, als Materialität begreife, beschäftigt. Das gesamte gesellschaftliche Leben oder vieles des gesellschaftlichen Lebens ist ja von solchen, zum Teil unreflektierten Voraussetzungshaftigkeiten, Routinen, Einschreibungen einfach vororganisiert. Und für mich oder auch für uns wars beim Theatermachen halt immer die Sache mit dem "Handlungsraum" – daß man im Grunde mit theatralen Mitteln nicht Imaginationsräume oder Fluchtlinien von der Gesellschaft schafft sondern eigentlich wieder Material gibt oder auf Grund so einer aesthetischen Versetzung auch wieder soziale Praktiken, gesellschaftliche Voraussetzungen erst sichtbar oder materialisierbar bekommt, um diese zu untersuchen.
d.b.: Und so ein Versuch ist das jetzt hier auch? Das über die Theorie noch mal näherzubringen ?
c.b.: Ist es ...also ... ganz stark ... genau ... weil die Frage ist, was passiert eigentlich über die Diskurse, letztendlich über die Sprache?
d.b. Es geht nicht nur um einen Diskurs zum Raum sondern es geht auch darum, wie so ein Diskurs Raum schafft?
c.b.: Genau. Oder darum, überhaupt eine Sensibilisierung zu schaffen. Ich mein, du warst jetz ein paarmal da, aber ... es ist ja interessant, wie jedes Feld, das diesen Begriff benützt, damit etwas komplett anderes verbindet. Und ich glaube, es ist ein völliges Manko in Wien, daß hier erstmal öffentlich Diskurse geführt werden oder sich eine Diskurspraxis entwickelt. Viel-leicht haben gewisse Einzelbereiche bestimmte Diskurspraktiken. Aber ich denke, es gibt ein unheimliches Potenzial der Fragestellung: kann man ein anderes Diskussionsfeld oder Diskursfeld schaffen?
d.b.: Siehst du dabei hier jetz einen Fortschritt, daß das wirklich zusammenkommt ?
c.b.: Du das schwankt, das schwankt total. Manchmal denk ich, das klappt eigentlich total großartig, dann denk ich, man müßte da noch viel mehr tun, in welcher Form müßte man noch arbeiten? Geht das in dieser Öffentlichkeit? Aus dem Theater-
bereich kennt man das Phänomen, daß, wenn Theaterdiskurse stadtfinden, eigentlich immer das gleiche Publikum kommt. Und wir sind hier halt immer wieder überrascht, was manchmal für Leute kommen, wo die herkommen. Wie schafft man es da Kommunikation zu initiieren? Gibts da eine Sensibilisierung für bestimmte Abgrenzungsgeschichten? Und ich denke, wir haben es schon geschafft, daß hier auf einem relativ hohen Niveau ein Diskurs geführt wird. Wobei die Frage ist, wie das weitergeht, wo’s jetz erst beginnt spannend zu werden ...
d.b.:Aber ihr habt ja vorher eher praktische Sachen gemacht. Wobei ihr schon auch die Theorie drinnen hattet. Und mich würde jetzt interessieren, in wie weit ihr eigentlich immer schon theorethisch gearbeitet habt.?
c.b.:Wir hatten schon die Theorie drinnen, aber es war eigentlich immer der Versuch, aus praktischen Erfahrungen heraus, ich sag mal, eine Theorie der Praxis zu entwickeln. Aus konkreten Fragestellungen, die aus der Arbeit kamen oder die vom theatralen Agieren kamen, Fragen abzuleiten, die man dann versucht hat auch theorethisch zu bearbeiten und zu analysieren. Also das eine war immer, die Arbeit zu dokumentieren. Das begann im Grunde schon am Anfang des theatercombinats in Berlin – daß man versucht hat, Protokolle zu schreiben. Ich glaube, wenn man so künstlerische Prozesse hat, die sehr langfristig angelegt sind, ist es gut das auch für sich selber zu haben, als Material. Und dann gab es einen anderen Einschnitt, bei massakermykene, durch das ich auch nach Wien gekommen bin; das war gemeinsam mit Josef Szeiler und ging über zwei Jahre; eine chorische Recherche im Schlachthof St.Marx. Und da begann man dann zu ganz konkreten Fragen aus der Praxis, wie zum Beispiel "Was ist der Chor?" "Was ist ein Sprechvorgang?" "Was ist das Verhältnis zum Zuschauer?", Materialien zu erstellen. Wo das System immer so war, daß jeder Beteiligte Position zu einer bestimmten Fragestellung entwickelt hat; und das Material sah immer so aus, daß sehr differente Positionen zusammenkamen zu einer geteilten Praxis.
Und dann, mit diesem Projekt war es im Grunde so: Wir haben immer ganz stark über Architekturen gearbeitet. Das war auch so ein link der über den Szeiler kam. weil: als ich ihn kennenlernte, hat er einfach von Projekten erzählt und das war der Moment, den Theaterraum oder den Kunstraum einfach komplett anders zu denken; Nicht innerhalb dieser vorgesehenen black-boxes oder Theater- oder dafür vorgesehenen Kunsträumen – sondern im Grunde in räumliche oder kontextuelle Ready-mades zu gehen. Dort auch keine Bühnen rein zu setzen, sondern sich mit den Strukturen, mit der Geschichte, auch mit dem Kontext des jeweiligen Raumes auseinanderzusetzen.
Es gab aber unterschiedliche Faktoren, die schließlich zu der Publikation führten. Das eine war, daß wir Anfang 2003 kein Geld bekamen, sodaß wir nicht weiterhin praktisch proben konnten. Und andererseits hatten wir bereits vor, eine Publi-kation zu machen; über das Projekt >anatomie sade/ wittgenstein – das war eine eher choreographische Arbeit, die wir in drei unterschiedlichen Architekturen gemacht hatten.
Textproduktion
Wobei es den Versuch gab, Material, das hier ganz extrem die Spieler selbst hergestellt hatten, als eine andere Sicht von artistischer Produktion zusammenzustellen.
d.b.: Seht ihr diese Textproduktion als eine Arbeit für sich oder ist sie Teil der praktischen Theaterarbeit ?
c.b.: Das ist sehr unterschiedlich. Bei "anatomie" hing das mit der Arbeitsweise zusammen. Das hing aber ebenso mit dem langjährigen Arbeiten vermittels improvisatorischen Einsätzen und Chor zusammen. Dabei ging es immer schon um die Theses des "Theater als Handlungsraum". Das heißt, was einer tut - in der Improvisation - hat Konsequenzen für alle. Und da gabs unterschiedliche Ansätze. Das eine waren aufgelöstere, chorische Konstellationen, die eher improvisatorisch waren. Und das Andere war die Auseinandersetzung mit dem antiken Chor, mit dem Versuch, als Spieler, als ein Gefüge, nicht von Außen dirigiert zu sein, sondern sich aus dem Innen heraus zu organisieren; weil Chor ja auch ganz stark eine sozial-mimetische Kontrolle oder Aneinander-Orientierung ist, auch in der artistischen Produktion.
Weil bis dato war die Arbeit ein Arbeiten über Texte gewesen. Und zwar in der Form, daß man sehr präzise mit diesen gearbeitet hat, meist mit metrischen, also mit Verstexten ; wobei jeder angehalten war innerhalb dieser Atem- oder Interpunktionsstruktur zu sprechen. Nicht, jeder setzt seinen Atem auf den Text, sondern jeder Text hat einen Atem, hat einen Gestus. Und eben darüber hat sich immer Bewegungsmaterial entwickelt. Bei "anatomie" war dann der Versuch, was man über die Jahre, als sehr fein sizelierte Techniken entwickelt hatte, mit Text zu arbeiten, mal bei Seite zu lassen und nur an Bewegungsmaterial zu arbeiten. Es gibt zwar Material aber man lernt nicht den Text auswendig. Wir haben zwar de Sade gelesen zu der Zeit aber nicht Text gelernt und dann genau diesen wiederum umgesetzt.
d.b.: Wie ist dann der Text doch noch eingeflossen?
c.b.: Am Anfang ging es eigentlich um de Sade mit dem Interesse, wie er über Sprache so eine Physis konstruiert oder wie er Situationen baut, gerade in "Philosophie im Boudoir" wo eigentlich Diskurs, Sexualität, Essen, gesellschaftliche Konversation, Politik nicht getrennt sind, sondern das Eine eigentlich ins Andere übergeht. Das war mal so ein Grund-ansatz. Und von dem ausgehend war dann so ein Einverständnis mit jedem einzeln zu arbeiten. Wir hatten vier Räume und in jedem arbeitete gleichzeitig Einer mehr oder weniger allein und ich jeweils immer mit Einem. Während ich also mit dem Einen gearbeitet habe, entwickelten die Anderen selbständig und allein Material. So gab es immer so ein bisschen eine Zahnartztsituation. Aber der Versuch war eben nicht über Vergleich zu operieren und deshalb war die gemeinsame Absprache, nicht untereinander zu kommunizieren. Einer wußte nicht, was der Andere macht.
d.b.: ihr habt es dann aber wieder zusammengeführt ...
c.b.: ja, Moment. ...und jetzt komm ich zum Text. Damit man das späterhin wiederum austauschen kann wurden dann die Arbeitsschritte protokolliert ...
d.b. ...Ihr habt euch dann auch wieder ausgetauscht.?
c.b.: Genau, aber erst nach acht Monaten. Also acht Monate war da nix, also auch keine Kommunikation über die jeweiligen Arbeitsansätze. Erst nach acht Monaten, ich glaub das war Januar 2002, begann man dann Texte monatlich auszutauschen. Aber man kannte quasi nur die texte. Und dann begann man auch choreographisches Material zu zweit und zu dritt zu erarbeiten und schließlich an Gesamtabläufen zu arbeiten. Und du sahst das vielleicht in dem, wie du an deinem Material weiter-gearbeitet hast, aber du wußtest nie genau, was der andere eigentlich macht. Und deshalb gab es bei "anatomie" so eine extreme Textproduktion – die eher tagebuchartig war – um den Prozess auch wieder mit den anderen zu kommunizieren und das irgendwie festzuhalten oder zu reflektieren.
Publikation
d,b. : Und wieso dann die Entscheidung das zu publizieren?
c.b.: Eigentlich wollten wir schon bei >massakermykene< eine Publikation machen. Da gibts auch sehr viel Material drüber; vielleicht gibts das nochmal. Aber es gab dann unterschiedliche Meinungen darüber, wie man das publizieren sollte und dann ist es irgendwann auch an der Zeit gescheitert. Weil es einfach ne absolute Hackn ist, sowas zu machen. Du brauchst einfach sehr viel Zeit, nur dafür, um Texte zu redigieren, um das irgendwie lesbar zu machen und als Material zu behaupten; jenseits der Finanzierung, der Selbstfinanzierung und der Finanzierung der Publikation. Und das Buch kann man gerade noch bei uns beziehen, weil der Verlag leider eingegangen ist, in dem wir ...
d.b.: der Triton-Verlag ...
c.b.: ...ja leider. Das ist ein relatives Drama. Weil wir jetzt diese wunderbaren Bücher haben und einfach keinen Vertrieb dazu, was ziemlich bedauerlich ist.
d.b.: Aber die Frage ist ja trotzdem, wer soll das jetzt eigentlich lesen? Das ist ja dann vielleicht auch nur in diesem Rahmen wirklich spannend, oder?
c.b.: Nein, das haben wir eigentlich anders zu deffinieren versucht. Einerseits hat dieses Material die Arbeit zum Anlass. Aber es ist auch von jedem eine subjektive Sicht.
d.b.: das heißt? Wie sollte man es dann lesen?
c.b.: Ja, man sollte es im Grunde lesen wie ein Schriftbuch. Und das hat zwar ein konkretes Thema, aber es ist, glaube ich, ein eigenständiges Kunstwerk. Es dient eben nicht nur zur Rekonstruktion der Arbeit. Sondern man muß da eine eigene Lektüreform finden. Deshalb wurde versucht, diese Grafik so zu unternehmen wie letztendlich auch die Arbeitsstruktur war, oder wie die unterschiedlichen Veröffentlichungsformen waren. Ich hab Spalten und ich muß mich entscheiden, wie ich überhaupt ein System finde als Leser. Ich muß eigentlich permanent Entscheidungen treffen, wie ich mich durch dieses Buch bewege. Also kann so ein Buch auch ein Raum, ein Imaginations-, ein Informationsraum sein, in dem ich unterschiedliche Strategien finden muß. Und es ist, als Buch das Information vermittelt, auf eine Weise, kann man sagen, erstmal unlesbar. Aber es hat vielleicht den ehrgeizigen Ansatz eben diese Arbeitsform in das Buchmedium zu übersetzen und diese Texte als Literatur, als Kunstwerk, unterschiedliche Be-zeichnungen könnte man da verwenden, für sich zu behaupten. eine eigene sprache zu entwickeln
Weil meistens, gerade in der Kunst, gibt es halt die authorisierten Schreiber oder Kritiker, die eine Sprache für Kunstproduktion finden und ist es eigentlich relativ unterbelichtet, daß Künstler versuchen eine Sprache für eigene Kunstprozesse zu entwickeln. Und ganz schwierig wirds bei Körperarbeit. Deswegen war das gleichzeitig auch ein Schreibversuch. Es geht, glaube ich, auch sehr um Schreib-weisen, um Schriftcodes, um Sprache an sich. Es ging hier über diesen Zeitraum von anderthalb Jahren auch immer um die Frage, wie kann ich überhaupt ne sprache finden um zu beschreiben, beschreib ich überhaupt? Beschreib ich oder phantasier ich, oder auf welche Elemente geh ich eigentlich ...? Und was das betrifft glaube ich, ist – auch wenn man an Prozessen und an einer Form von Theoretisierung oder Dokumentation interessiert ist – ein Versuch, eine eigene Sprache zu entwickeln oder eine Differenz von Sprachen auszuloten ausgesprochen selten. Deshalb ist es, kann ich mir vorstellen, auch sehr interessant, wenn man Einzelne verfolgt - was nicht so ganz einfach ist - Entwicklung und Verschiebung in der Schrift zu bemerken. Und es gibt noch diese Teile, "Internes Material" und "Externes Material". Also es gibt diese Außenpositionen, wo zu beobachten ist, was für Beschreibungsarten die gewählt haben oder wie sie ringen, was zu beschreiben, was zunächst nicht beschreibbar ist; Weil bei jedem Kunstdiskurs gibt es ja erstmal immer Vereinbarungen, wie was bewertet, beschrieben, beschriftet wird. Und dann, sag ich mal: die Sorgfalt, für Dinge, für die man nicht sofort Worte parat hat, eine Sprache zu entwickeln, ist halt relativ gering. Weils einfach ein ökonomisches, weils ein Zeitproblem ist.
Parallelproben
d.b.: Aber ihr arbeitet ja auch schon an weiteren Projekten, nicht wahr?
c.b.: Ja, wir haben noch Parallelproben. Also das is alles n bisschen der Hammer. Es gibt manche Projekte, die mit institutioneller Anbindung passieren und andere Projekte, die man ganz bewußt frei organisiert.
d.b.: das heißt ....?
c.b.: das heißt, daß man sie autonom organisiert. Man ist subventioniert, aber bindet sich nicht institutionell an. Was rein organisatorisch oder strukturell relativ heftig ist. Wir machen jetzt auch ein choreographisches Projekt zu >Bild und Raum<. Und dazu parallel die >firma raumforschung< zu kuratieren, nachzubereiten, das Material zu sammeln und so weiter und so fort, is halt ziemlich aufwendig.
Scheitern
Das Ganze ist vielleicht genährt aus so nem utopistischen Ansatz, zu sagen: Es gibt nicht nur die Diskursspezialisten und es gibt dann die Theaterpraktiker und es gibt dann die und die, sondern zu sagen, okay es gibt eine Gruppe von Leuten, die gemeinsam arbeiten und die arbeiten in unterschiedlichen Feldern. Wobei ich sagen muß, daß dieser utopistische Ansatz, daß alle, also daß die gleichen den Diskurs und die Praxis machen, bei uns im Moment ein wenig gescheitert ist. Weil es gibt jetzt so Veränderungen, daß jetzt einige gesagt haben, sie möchten die Firma Raumforschung jetzt gar nicht mehr mitbetreiben, obwohl auch in der ... also is egal ... also der Versuch, daß man jetzt alles teilt, daß wir das aber .. das hat nicht funktioniert.
d.b.: Woran ist es gescheitert, konkret?
c.b.: An der Überforderung, an unterschiedlichen Interessen
...oder natürlich auch, wo man herkommt ... daß man sich natürlich immer auf nem unbekannten Terrain befindet. Es geht um Kraftressourcen, ich glaub, um Kraftressourcen und Interessen und wie viele unterschiedlichen Ebenen man in der Lage ist gleichzeitig zu bearbeiten. Das war im Grunde der Versuch, in diesem Jahr und jetzt auch im nächsten, so ne Verzahnung von komplett anderen Ansätzen zu machen. Also nicht nur den Diskursraum hier zu machen, den Installationsraum, Kommunikationsraum, sozialen Raum hier zu schaffen, sondern auch gleichzeitig an einem Theaterprojekt zu arbeiten. Es ist halt sehr viel. Ne, es ist halt ..(lacht) nee ...
d.b.: Aber ihr arbeitet ja immer so an der Grenze. ...
c.b.: ne klar das is alles ... und das is auch die Frage, wie lang man so was machen kann oder ...
d.b. Und wie lang kann man so was machen?
c.b.:, das is die Frage. Ich mein, grade unlängst is jetzt ein Kollege von uns ausgestiegen. Wir haben sehr viele Jahre gemeinsam gearbeitet. Und wenn man lange Zeit miteinander verbringt, dividieren sich vielleicht künstlerische Interessen auseinander und es ist die Frage: Wie ist das jetz wieder in Abgleich zu bringen? Ist das wieder konfrontierbar? Hat man noch die Kraft diese Konfrontation oder diese Kollision immer wieder zu initiieren? und wann geht es auch nicht mehr?. Ich kann es nicht genau sagen, wie lang ... Ich glaube, es geht nicht unendlich.
sechzig minuten
Weil es natürlich wesentlich anstrengender ist, als irgendwie in Formaten Kunstprojekte zu machen, die von Vornherein absehbar sind. Aber ich denke, uns alle oder mich hat das halt nie so rasend interessiert.
Also ich komme aus dem klassischen Theater. Ich hab Regie gelernt, an der "Ernst Busch" in Berlin. Also ich komm wirklich von einem Figurentheaterspiel, von klassischer Dramaturgie im brechtschen Sinn. Also nicht ganz klassisch aber so mhmm. Und kam dann, auf Grund von persöhnlichen Begegnungen, wo einige Menschen sehr wichtig für mich waren, zu dem Moment, daß man nicht bestimmte Grundkoordinaten der Kunst oder des Theaters einfach annimmt, sondern die Kondition immer wieder von Grund auf befragt. Das heißt eigentlich, daß jedes Projekt von neuem wieder ne Grundbefragung der Grundvoraus-setzungen von Theater ist. Also, wenn ich ins Theater gehe oder in Tanz gehe und jedes is im Bühnenraum und dauert sechzig Minuten, denk ich mir, is doch irgendwie komisch - wieso muß alles sechzig Minuten dauern? Und das hat natürlich viel mit ökonomischen Gründen zu tun. Das hat natürlich damit zu tun, daß man in der Ökonomie auch irgendwann lernt zu denken und daß da ne extreme Vor-formatierung von Bedingung passiert, in der dann Kunst produziert wird. Und ich, wo ich für mich denke, daß die Kunstpraxis ja immer auch ne Form ist, gesellschaftliche Grundkoordinaten mitzuformatieren, mit konkreten ästhetischen Mitteln, bin der festen Überzeugung, daß man diese ganzen Medien oder feldimmanenten Voraussetz-
ungshaftigkeiten immer wieder reflektieren oder befragen muß. Wenn ich mit Chor arbeiten will, entsteht ne ganz andere Arbeitsstruktur, als wenn ich übern Voyeurismus arbeiten möchte und n choreographisches Material erarbeite oder wenn ich über so nen Diskursort arbeite, was jetzt die Firma Raumforschung ist. Also jedes Anliegen für sich fordert n anderes Problem. Und das war vielleicht auch das Problem, von dem ich vorhin gesprochen habe: daß quasi die Firma Raumforschung ne ganz andere Struktur erfordert als jetzt unsere praktische Probenarbeit. Und da gibts manchmal Kollisionen, vielleicht auch Schwierigkeiten des Umschaltens, weil du mußt dich ja auch konditionieren, wie du wo agieren kannst, oder wie du wo produktiv werden kannst.
raumsuche
d.b.: Wie schaut diese praktische Probenarbeit jetzt aus? Wie seit ihr da organisiert?
c.b.: Na die Probenarbeit sah so aus: einseits daß wir parallel probiert haben nach einem Raum zu recherchieren
d.b.: , zu suchen.
c.b.: einen Raum zu suchen. (lacht) "Firma Raumsuche". und das war n sehr langwieriger oder problematischer Prozess. Aber ne unheimlich interessante Regerche, weil wir gesagt haben : was gibts eigentlich noch für Räume? Also wir haben bis jetzt in Industriebrachen gearbeitet, im Neubau gearbeitet, im öffentlichen Raum gearbeitet. Und eigentlich war das Interesse: mit nem Nichtraum zu arbeiten – da gibts nen Raum der noch nicht deffiniert ist und wie kriegt man Zugriff auf den Raum? Also das heißt ne Brache oder n Abrissgelände ... aber wenn du diese Räume oder Orte suchst, dann merkst du, jeder dieser Räume is mit einer enormen Ökonomie verbunden. Wir sin eh dabei, wir müßen das jetz mal alles aufsammeln weil das eigentlich ne irrsinnige Geschichte ist, über die unterschiedlichen Räume ... wenn du nicht mit diesen kleinen Räumen sondern mit nem gewissen großzügigen Raum arbeiten willst. Das war immer n Ansatz, daß Räume ne gewisse Dimension haben, dass Nähe und Distanz ne Weite haben. ...
studioräume
d.b.: Wozu verwendest Du diese Weite?
c.b.: Es war interessant. Weil wir haben das eben nicht gefunden und haben im WUK geprobt. Aber du kannst da immer nur in die Imagination gehn. Also du kannst immer nur imaginativ den Raum verlassen; aber der Raum an sich hat wenig Imagination oder konkretes Material der Auseinandersetzung. Und die Distanzen die man in solchen Räumen bearbeiten kann, also so Studioräumen oder so, sind einfach extrem begrenzt. Ich hab da auch gemerkt, dass ich da einfach schlecht drin bin zu arbeiten. Ich krieg einfach nach drei Monaten echt die Macke. Also man kann dann so Genauigkeitsfiseleien machen und merkt aber: als n theatraler Einsatz interessiert mich das nicht wirklich. Also ich merk einfach: wenn ich ne Weite hab, die mir in solchen gesellschaftlichen Räumen meist unterbunden wird ...Nein ... Was sind denn so geräumige Orte in Wien? Das ist der Schlachthof gewesen, das ist der Helden-platz, das ist vielleicht das Nordbahnhofgelände. Das sind ja drei komplett unterschiedliche Funktionen. Aber es gibt ja ne ganz klare Raumzuteilung in der man sich bewegt und lebt. Und ich hab irgendwie den Eindruck, daß Raum, um dort zu arbeiten, um dort Theater zu machen, für uns oder für mich zuerst einmal eine andere Dimension braucht, die sowohl die Dimensionen von Kusträumen als auch gewisser gesellschaftlicher Grundannahmen erstmal entsetzt, um dann, in dieser Entsetzung, vielleicht nen anderen Möglichkeitsraum zu sehn. Und dann in diesem und um diesen entsetzten Raum spezifische Techniken, Praktiken und Mittel zu entwickeln.
verwertungsstrategien
d.b.: Wie schauts da in Wien aus?
c.b.: Ja ich könnt da jetz weiter ... ich könnte da jetzt die ganze Geschichte erzählen. Was wir alles probiert haben mit ... . Ein Raum wo keine ökonomische Nutzung drauf ist, der zur Verfügung gestellt werden kann, der eine gewisse Dimension hat – es ist unendlich schwierig da noch ranzu-kommen - weil: es immer schon Verwertungsstrategien gibt.
d.b. : Ist das spezifisch Wien oder ...?
c.b.: Ich weiß nicht, ob das insgesamt zunimmt, daß n ökonomischer Druck zunimmt, daß ne Wertschöpfung zunimmt, ob daß allgemein so ist - Ich merk das jetzt grad in Wien. Es ist uns noch nie so schwer gefallen wie jetz. Ich mein, die Ansprüche werden immer komplexer, von uns jetz auch. Aber es ist noch nie so schwer gefallen, einen entsprechenden Raum zu finden. Mit dem Magaretenbad wars so: das war ein ganz anderes Raumkonzept. Wir haben gesagt okay, machen wir mal eine Skizze im Magaretenbad. Das ist so ein übergeordneter Bildraum, das ist so ein Erlebnisbad, ein animierter Raum.
Bildbeschreibung
Und wir arbeiten gerade sowohl mit >Bildbeschreibung< von Heiner Müller; als auch mit dem Text von Michel Foucault, diesem Anfang von "Die Ordnung der Dinge", wo er dieses Gemälde von Velasquez beschreibt: "Las Meninias" und haben noch so ein Textfragment, von Godard aus dem film "Comment ca va".
d.b.: Was für ein Gemälde?
"Las Meninias" - "Die Hoffräulein" - das ist das Gemälde: auf der linken Seite siehste die Rückseite einer Leinwand, da steht ein Maler davor, der blickt quasi aus dem Bild raus; du siehst eine kleine Hofgesellschaft, einen dunkleren, nach hinten gehenden Raum, wo so n bissl verschwommene Bilder hängen, hinten hängt ein kleiner Spiegel, eine Öffnung wo ein Mann auf der Schwelle steht; und Foucault gehts ganz stark um Repräsentation und er macht im Grunde das auf: du betrachtest das Bild, wo du siehst, daß ein Maler vor einem Bild steht, das du nicht einsehen kannst und du bist gleichzeitig der Betracher des Bildes und gleichzeitig bist du das Modell des Malers. Also wo er so ne Doppelfunktion aufmacht ... was ziemlich interessant ist ...
d.b.: Wo kommt das vor?
Das ist ganz der Beginn, das sind die ersten zwei Kapitel von " die Ordnung der Dinge" von Foucault. Das ist ganz ..., das is n super Text. Dann haben wir noch so Text rausgeschrieben von Godard, aus "Comment ca va" – ein film über Blick oder das Dirigieren des Blickes, die Bilder und ihre politische Funktion. Und in diesem Zusammenhang war halt das Bad interessant - das ist so ein total animierter Raum, komplett eklektizistisch mit komplett unterschiedlichen Bildangeboten zusammengestoppelt und dort wollten wir eben eine sehr reduktionistische, feinstoffliche choreographische Arbeit setzen, mit eben diesen Texten, die ganz andere Bildebenen wieder beschreiben. Aber es ist in Wien hier halt so: sobald ein Gebäude leer is und die wolln das verschachern, es läuft eine Verkaufsoption, dann lassen se dich da nicht mehr rein, auch wenn es zwei oder drei Monate leer steht. Und jetzt haben wir zwei Begehrensobjekte in Aussicht, wissen nicht ob das funktionert. Also zwei Objekte wo es um Leerflächen, sei es ne Ruine oder sei es ein Rest, wie etwa ein Abbruchrest, geht, wo Innen- und Außenraum ne andere Deffinition hat, siehe Matta-Clark, und dort ne architektonische Skizze zu machen und das als n theatralen Raum zu behaupten. Das ist eigentlich das Projekt, das wir für nächstes Jahr vorhaben. Also Elemente der Raumforschung praktisch umzusetzen, um einen Raum zu besetzen.
d.b.: Wie wollt ihr das besetzen?
c.b.: Also wirklich dort zu arbeiten. Auch ne räumliche Skizze dort zu machen, auch mit architektonischen Mitteln, oder mit skulpturalen Mitteln. Dort dann auch ne Aufführung zu machen von der arbeit, die wir jetzt im Sommer schon begonnen haben mit der praktischen Arbeit. Und dort dann vielleicht auch wieder ein Symposium von der Firma Raumforschung zu veranstalten. Der arbeitstitel ist grad >Bildbeschreibung<. Was es aber nicht wirklich sein wird. Es geht schon um so n Bild-Raum-Verhältnis. Aber das irgendwie praktisch zu bearbeiten ...
d.b.: Aber das, ausgehend von diesem Heiner Müller Text ...?
c.b.: Ja, der kam eigentlich erst später dazu. Eigentlich gings erst um den Körper, wenn man sagt, der Raum existiert nicht, sondern wird immer erst initiert. Dann heißt das ja, es gibt den betrachtenden Körper und den betrachteten Körper. Und aus diesem Verhältnis heraus ein Bewegungsmaterial zu entwickeln ... genau in dieser operativen Schwebe haben wir begonnen. Und dann kam späterhin das Textmaterial >Bildbeschreibung< hinzu. Dabei war das Hauptinteresse: kann man ein Bewegungsmaterial für sich erarbeiten und dann dazu ne komplett andere Sprachebene setzen, die ne komplett andere relationale Bildkonstellation aufmacht, die aber nichts damit zu tun hat, was eigentlich physisch relational im Raum abläuft? Daß man quasi einen visuellen oder sagen wir konkret körperlichen Raum hat und gleichzeitig einen Raum, der parallel dazu über die Sprache gebildet wird – ein BildRaum. Das sind so Entwicklungen, von unterschiedlichen Techniken. Das kommt dann wirklich immer aus dem jeweiligen Projekt.
Ressourcen
und jetz is das Problem, daß diese ganze Raumgeschichte, wo wir glaub ich an zwanzig unterschiedlichen Konstellationen dran warn ... ich ärger mich jetz grad, daß ich darüber kein Tagebuch geführt hab. Weil, das wäre ein irrsinnig interessantes und ich werd das jetz nachholen. Ein irrsiniges Material, wie eigentlich mit Ressourcen umgegangen wird. >
Wo gibts Ressourcen? Was sind das für Ressoucen?
Warum geht was, warum geht was nicht? |