SIEBEN
lesende
 

SIEBEN die projektgeschichte

warum? der zeitungsaufruf des festivals der regionen deckte sich sehr mit der unseren auffassungen über theaterarbeit. lokale orientierung, mit einbindung der bevölkerung, projekte für ortsspezifische bedingungen entwickeln, mit einem dezentralen kulturkonzept.
dies waren die anhaltspunkte, und das sichere ahnen, dass ein theater für dieses jahrtausend nur über die um- und neudefinition des zuschauers, sowie ein anderes benutzen von raum und zeit möglich ist.

nach einem gespräch mit dem festivalleiter schien das mühlviertel eine bislang nicht bearbeitete region zu sein. also fuhren wir ins mühlviertel. eine dörfliche struktur, meist um die kirchen herum gebaut. schnell war klar, etwas für diese landschaft zu entwickeln, was mit der gleichzeitigkeit von geschehen an mehreren orten arbeitet, sich in die landschaft einprägt. historische landschaft, freier handel, tuchherstellung, hasenjagd, katholizismus, an manchen orten ein pranger, geschichten der dorfbewohner über dessen benutzung.

bibel, altes testament. altes testament. sex and crime. eine historische sicht auf das judentum/christentum. lesen lassen von der bevölkerung, als konfrontation mit geschichte und sprache. diesen text in die münder legen, an öffentlichen plätzen zu hören. dorfbewohner lesen für dorfbewohner an 7 orten im mühlviertel 7 tage und nächte. so entstand der gedanke für das projekt SIEBEN.

nach auswahl der sieben orte und der sieben lesestellen als kaleidoskop unterschiedlicher blickwinkel dieser region, war die nächste hürde die soziale recherche. wie sind die hierarchien in den orten organisiert, wen muss man überzeugen, um das vorhaben möglich zu machen. konflikte zwischen bürgermeistern und pfarrern, es gibt bürgermeisterorte und pfarrerorte und bürgermeisterpfarrerorte, aber nichts dazwischen. die ersten reaktionen waren freundlich amüsiert, unglaube, so etwas realisieren zu wollen, bis zu manifester ablehnung einiger hochwürden, die uns als nicht befugt sahen, diesen text unkommentiert (!) lesen zu lassen. die bevölkerung könne einen falschen eindruck von der bibel gewinnen. eine erschwernis zudem die übersetzung der jüdischen philosophen martin buber und franz rosenzweig. alle tolerierten schliesslich das vorhaben, jedoch mit unterschiedlich starker unterstützung. wir trafen menschen aus goldhaubengruppen, lesezirkeln, der feuerwehr, dem schützenverein, schuldirektoren, restaurantbesitzer, behinderteneinrichtungen, bibelrunden, bauern, musikvereinen, etc.

was war und was bleibt: schließlich lasen in den sieben tagen und nächten 487 akteurInnen aller altersgruppen, aus vereinen oder nicht aus vereinen, christen, heiden und atheisten, männer, frauen, kinder, diesen text an sieben goldenen tischen mit sieben goldenen stühlen ins mühlviertel hinaus. lesende des vergangenen tages besuchten das nachbardorf und sahen und hörten den gegenwärtig lesenden zu. die achtjährige las nach der schule, die siebzigjährige las in der früh, zur morgendämmerung las der totengräber, während hinter ihm zwanzig arbeiter standen und auf den werksbus nach linz warteten. der alttestamentarisch sprechende siebenbus, der die orte verband, wurde an den feldern erwartet und befürchtet. manche texte werden nie so gehört und verstanden. texte brauchen umgebung, eine uhrzeit, ein setting, eine erfahrung um hörbar zu werden. diskussionen über die stellung der frau im alten testament, erschrecken über die geschilderten obszönitäten und graumsamkeiten.


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