theatercombinat | 17.10. - 14.11. 2007 coriolan shakespeare – politische rhetorik als waffe gegen aufbegehrende körper, thepalace, wien (a)

sprache: deutsch

kritik der standard
kritik wiener zeitung
kritik freiezeitart
vorbericht der standard

  Ein Theatersubstrat aus Leibern und Lehren

(Ronald Pohl / DER STANDARD, 19.10.2007)

Das "theatercombinat" zeigt "Coriolan" im Wiener Bahnhof Breitensee

Wien – Bertolt Brecht hat sich aus Shakespeares als zweitklassig gehandelter Tragödie Coriolan bekanntlich ein witziges Lehrstück zusammengebastelt: Der römische Patrizier Gajus Marcius ist im Felde, wenn er gegen potenzielle Invasoren wie die Volsker den Haudrauf geben kann, ein Muster an Courage. Zuhause, wo die hungrigen Plebejer die Einrichtung des Tribunats erstritten haben – eine Art Volksanwaltschaft mit hohem Mauschelfaktor –, wird sein störrischer Standesdünkel zusehends inopportun.

Coriolanus spricht aus, was er denkt. Er kann das gemeine Volk ob dessen Wankelmütigkeit partout nicht leiden, braucht aber des "Pöbels" symbolische Zustimmung für die Konsulatswürde. Bei Brecht fragt der Gute alle die braven Riemenschneider und Mistausträger: Na, Ihr guten Leute – wo drückt der Schuh? Eine Verrenkungsnummer mit hohem Heiterkeitsfaktor.

Im riesigen, ehemaligen Betriebsbahnhof Breitensee, wo das theatercombinat eine unermesslich weite Landschaft aus Laufbohlen und Montagegräben bespielt, bestampft und besingt, steckt Coriolan (Doris Uhlich) in einer roten Motorradkluft. An dieser Person ist nichts komisch, alles tragisch: Sie muss wider Willen gegen die eigene Stadt vorgehen, die aus Dutzendschaften steppender, zuckender Musterdemokraten besteht. Ein Zerberus des republikanischen Gemeinwesens ist dieser Coriolan, der mit mächtiger Gebärde Luft schöpft, der in den Graben abwandert und den verbohrten Querkopf gegen rostige Gleisanlagen schlägt. Er entblößt zudem bei günstiger Gelegenheit sein mächtiges Gesäß, um vor der römischen Arbeiterklasse das wahre Gesicht der Aristokratie zu enthüllen.

Vor allem aber hat Regisseurin Claudia Bosse in ihrer genialischen Massenchoreografie noch einmal das Substrat politischer Willensbildung theatralisch nachgestellt. Sie kreiert ein Ballett der Gezeiten, aus deren Brandungswogen die unterschiedlichsten Protagonisten und Parteigänger herauftauchen: Verlautbarungsorgane, die in den vielfach englisch deklamierten Shakespeare-Text folgenreiche Dokumente der Staatsrechtstheorie hineinverweben. Hör nach bei: Giorgio Agamben und Carl Schmitt – über das Wesen republikanischer Tugend und das staatlich konstitutive Verhältnis der Freund-Feind-Relation.

Was wie ein Tort klingt und fast dreieinhalb Stunden währt, was Gerinnsel aus Leibern und Posen bildet und als Getriebe schon auch einmal ins Stocken gerät, ist nicht weniger als eine Sternstunde des kommunalen Off-Theaters: Die szenischen Künste erzählen noch einmal nach, was unser Gemeinwesen im Innersten zusammen hält.

Politisches Theater!

Früher nannte man dergleichen "politisches Theater": Da die in Gruppen hineingeschleusten Zuschauer den mit Pflastersteinen und Neonröhren karg ausstaffierten Raum erwandern können, wird man – ganz ohne Mitmachquatsch – zum glücklichen Opfer einer optischen Täuschung. Die kunstvoll angeleiteten Manifestationen der Massen scheinen tatsächlich dem Schoß der "Allgemeinheit" zu entwachsen. Die famosen Deklamatoren (voran: Christine Standfest, Aurelia Burckhardt und Gerald Singer) verkünden in ihren Motorradmonturen auch sprödere Theoriezusammenhänge wie gliederruckende Verführerschlangen.

Gegen Schluss — der arme Coriolan kämpft an der Seite der Volsker gegen Rom – verschlingt eine Schildkröte aus Körpern den Todgeweihten. Davor hatten die drei Säulen des Chors noch gesteppt und ein Ästerauschen entfacht. Bosse und ihr Team haben mehr als nur das Erbe Einar Schleefs angetreten – sie sind im Herzen Jahrtausende alter Theaterfragen angekommen.



kritik der standard
kritik wiener zeitung
kritik freiezeitart
vorbericht der standard

  Das alte Rom in der Remise

(Brigitte Suchan / Wiener Zeitung, 19.10.2007)

Theatertexte neu und ungewöhnlich zu interpretieren ist das Anliegen von Claudia Bosse und ihrer Formation "theatercombinat". Nach "Die Perser" von Aischylos, die sie in einen stillgelegten U-Bahnschacht unter der Mariahilferstraße verlegte, nimmt sie sich nun Shakespeares "Coriolan" vor. Als spektakulären Schauplatz wählte sie den Betriebsbahnhof Breitensee.

In "Coriolan" geht es um Politik, Macht und Ohnmacht des Volkes, um Staatsinteressen, Manipulation und das Entstehen der Demokratie. Es ist eines der sperrigsten Shakespeare-Stücke, in dem die theoretische Diskussion dominiert.

Bosse verteilt alle Rollen des Stückes auf sechs Sprecher, die sich mit ihren färbigen Ledermonturen als Protagonisten aus der Masse hervorheben. Die wesentliche Rolle des Volkes wird von einem Chor aus Laien ausgefüllt, der nach einer gut durchdachten Bewegungschoreographie agiert. Das Publikum ist sozusagen Teil des Volkes, es gibt keinen abgegrenzten Zuschauerbereich, man steht, geht herum oder sitzt auf Decken – eine Herausforderung, immerhin dauert das Stück mehr als drei Stunden.

Die Stärken der Inszenierung liegen eindeutig in der Führung der Massen. Wie Bosse das Volk im Stepptanz zu einer Art Gleichschritt formiert und das Klackern der Metallschuhe die Halle erfüllt – das hat theatralische Kraft. Weniger überzeugend sind die Textpassagen. Obwohl man den Hut ziehen möchte vor der Gedächtnisleistung der Akteure, ist doch zu merken, dass es sich hier nicht um Schauspieler handelt, sondern in erster Linie um Performancekünstler, deren Stärke die Körpersprache ist. Insgesamt ein gelungenes Projekt, das ein schwieriges Stück auf zeitgemäße Weise darstellt.

Eindrucksvoll.


kritik der standard
kritik wiener zeitung
kritik freiezeitart.net
vorbericht der standard

 

Sprechen gegen Körper

(Wolfgang Kindermann / freiezeitart.net, 1.11.2007)

Akteure, die in Mechanikergräben im wahrsten Sinne des Wortes die Intentionen der Zuseher unterlaufen: die Tragödie auf von den Veranstaltern ausgelegten Decken auszusitzen, nicht Partei zu beziehen, obwohl sie Partei sind, Teil eines demokratischen Gemeinwesens, das hier handelt, über das hier verhandelt wird. Akteure, die ihren Platz suchen, schweigend, schreiend, fragend, in einer ihrer Bestimmung beraubten Republik / Straßenbahnremise. Frauen, die Männer spielen, mit Körper und Sprache kämpfend, im Kampfanzug einer Kämpferin, die Männer und Frauen überwunden hat: Uma Thurmans Motorraddress aus Quentin Tarantinos Kill Bill in Gelb, Rot, Blau, Grün, Violett und Weiß, Regenbogen-Koalition wie -Opposition. Im Spagat zwischen den Laufstegen neben den Schienen zerreißt es sie über dem Abgrund für die arbeitende Masse zwischen Revolution und Resignation. Dann und wann werden Türen geöffnet unter Neonröhren in kalkweißen Wänden, Notausgänge womöglich, keine Auswege. Am Ende der Schienen ein mannshoher Haufen aus Pflastersteinen, der Boden weggerissen den Bürgern unter den Füßen, die Republik in Trümmern, aus der wachsen wird die Demokratie mit dem Dünger aus Kapitalismus und Populismus. Ein Diskurs, der von der Decke, den Wänden, aus den Gräben und Hohlräumen hallt, in Deutsch, Englisch und Französisch, den Sprachen der Autoren, Übersetzer, Bearbeiter, Darsteller und Darstellerinnen. Den seiner Ämter und Uniform entkleideten Coriolan überwuchern die Tribunen, schließlich Bürger und Bürgerinnen: eine Menschentraube in der römischen Kampfformation einer Schildkröte, im Krebsgang zu New Orders Song Blue Monday steppend.


coriolan, nach die perser und turn terror into sport (ein Bericht dazu demnächst an dieser Stelle) der dritte Teil aus dem Zyklus tragödienproduzenten des theatercombinat, präsentiert "politische rethorik als waffe gegen aufbegehrende körper". Shakespeares Stück erzählt (nach einer Vorlage von Plutarch) von Cajus Marcius Coriolanus, einem römischen General des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, der trotz seiner Verdienste um das Imperium ins Exil verstoßen wird. Das Volk erhielt erstmals in Form von Tribunen seine Stellvertreter im Senat. Coriolan aber sieht Rom durch das neue System gefährdet und weigert sich dem Volk als dessen Tribun nach dem Maul zu reden, Hochverrat damals wie heute. Dem Tod entflieht der Gefallene durch die Flucht ins Exil. Die Schmähung schmerzt ihn genauso wie seine Desillusionierung: Mit den Barbaren, die er bisher bekämpfte, vergleicht er die Bürger Roms nun. So muss es vereint mit dem bisherigen Feind als neuer auch bezwungen werden.


"in diesem politischen diskussionsstück geht es um das sprechen (...) als waffe, als bezwingen und konstituieren politischer realität. sprechen gegen körper, körper gegen sprechen. über sprechen eingesetzte körper. durch sprache, spielweise und raumanordnung werden vorstellungen von staat, politik, recht, körper und individuum theatral verhandelt ..." heißt es im Programm und in der Tat: Claudia Bosse hat mit ihren Darstellerinnen und Darstellern sowie rund 40 Laien-Stepptänzerinnen und - tänzern einmal mehr eindrucksvoll die Grundelemente ihres Theaters in Szene gesetzt: Text, Sprache, Körper und Raum. Doch während das Geschehen im ersten Teil von tragödienproduzenten, die perser noch (in einem Wiener U- Bahnverbindungsschacht) buchstäblich kanalisiert und so komprimiert wurde, verlieren sich in den Weiten der Remise immer wieder Körper, Texte, Sprache. Vereinzelte Gesten und Ausrufe aus verschiedensten Winkeln des Raumes wie auch manch längere Textpassage entgehen hier zwangsläufig der Aufmerksamkeit des Publikums; vermutlich ein in diesem Raum- und Inszenierungskonzept einkalkuliertes Risiko. Der Niedergang Roms, man kann ihm akustisch wie räumlich nicht immer folgen – nichtsdestoweniger steht man drei Stunden und fünfzehn Minuten fasziniert vor den Machenschaften, die ihn verursacht haben und die er zeitigt. Theater als Ausnahmezustand, dem es sich auszusetzen immer wieder auszahlt.


kritik der standard
kritik wiener zeitung
kritik freiezeitart
vorbericht der standard

 

Die Verhältnisse zum Steppen bringen

(Ronald Pohl / DER STANDARD, 17.10.2007)

Das "theatercombinat" lädt mit "Coriolan" in ein Wiener Straßenbahndepot

Wien - Wer sich des selten gespielten Coriolanus William Shakespeares annimmt, muss sehr genau wissen, wohin sein Erzählinteresse schweift. Spielplatz des Stücks ist auch in der Version der Wiener Gruppe theatercombinat ab heute, 20 Uhr, im Betriebsbahnhof Breitensee (Hütteldorfer Straße 112) die Öffentlichkeit.

Doch was ist "Öffentlichkeit"? Gemeint ist jenes ominöse republikanische Gemeinwesen (ob in Rom oder Österreich), das zwar auf "Bürgerbeteiligung" angewiesen bleibt, aber des Appells bedarf, um überhaupt in Erscheinung zu treten. Das nach Belieben Meinungen in alle Richtungen kräht, wenn man es "ruft" und zum demokratiepolitischen Resonanzkörper umformt. Die Rufer aber sind gewiefte Rhetoriker - die Politiker je nach Wechsel der Großwetterlage nützliche Kampfmaschinen oder verzichtbare Idioten.

Die römischen Plebejer, die unter der Last der Kornpreise ächzen, werden in dieser faszinierenden Studie divergierender Interessen zur Knetmasse der Agitation. Claudia Bosse, deutsche Regisseurin und Kopf des theaterkombinats, der vielleicht radikalsten freien Theatergruppe in der Bundeshauptstadt, setzt damit ihre Erkundungsreise durch die Welt politisch lesbar werdender "Theatralität" fort.

Nach Aischylos' Persern also Shakespeare - die Konzeptreihe soll mit Racines Phädra und einem synthetischen Produkt unter besonderer Berücksichtigung von Elfriede Jelinek in eine Apotheose der abendländischen Theaterkunst einmünden. Bosse inszeniert, sagt sie, entlang "politischer Identitäten": In Coriolanus würden "innenpolitische Mechanismen durch außenpolitische Konflikte umgeleitet".

Rechts und links

Bosses Jargon klingt im Gespräch mitunter auf geradezu anheimelnde Weise "links". Soviel Sprödheit ist Konzept. Es würden "Feinde produziert". In Coriolanus, notabene mit Blick auf die Titelfigur, wird ein Staatsdienstnehmer ohne Eigeninteressen neben politische Klassen gestellt. Es gehört denn auch zu den großen Pointen der Theatergeschichte, dass Bertolt Brechts Berliner Coriolan-Version durch das charismatische Spiel von Titelheld Ekkehard Schall weltberühmt wurde.

Bosse ergänzt zeitgenössisch: "Das sind heute nicht mehr sagbare Dinge!" Was sie damit meint: Wer heute über "Klassen" spricht, wünscht sich mindestens Väterchen Stalin in den Kreml zurück oder legt Gewerkschaftsmillionen in nordkoreanischen Wettersatelliten an.

Die Abbildung der Manipulation von Öffentlichkeit, die Nachforschung, wie "formbare" Gesellschaften tatsächlich ausgebildet werden - dergleichen Erkenntnisinteressen setzen ein nahezu grenzenloses Zutrauen in die Möglichkeiten freien Theatermachens voraus. Bosses Team hat vorgearbeitet: Kollektive Stepptanz-Performances mit Sympathisanten wurden vor dem Maria-Theresien-Denkmal abgehalten - mithin unter den verständnislosen Blicken japanischer Touristen, die soeben aus Wilfried Seipels Kunsthistorischem Museum herausgespült worden waren.

Bosse schreibt in ihr Konzeptpapier: "6 akteurinnen und akteure rhythmisieren die weite und gräben des leer stehenden tram-depots." Und, fortschrittsgesättigt: "die zuschauer werden teil der schlachten und der politischen machtkämpfe. (...) der aufstand der strasse besetzt die hallen des geländes von 'thepalace'."

Wer ab heute die Remise besetzt, sollte sich in Daunen hüllen und schmutzresistente Kleidung auswählen. Bosse "montiert" Muster der chorischen Massenbewältigung. Man wird sich wohl oder übel zwischen Granitpflastersteinhaufen hindurch bewegen - und den "Verhältnissen" (dem "Bürgerkörper", so Bosse) beim Steppen zuschauen. Immerhin: Es gibt noch Theatermacher, die so etwas riskieren. Die Jahressubvention 2007 beträgt 150.000 Euro.


www.theatercombinat.com theatrale produktion und rezeption