fatzer-fragment

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  raum

der raum war wesentlicher bestandteil der theatralen auseinandersetzung, teil der theatralen komposition. der theaterraum des theatre du grütli wurde skeletiert, die zuschauertribühne abgebaut, die funktionsräume, d.h. die werkstätten, der gang zur lagerung von scheinwerfern und die zugänge zu den notausgängen wurden geöffnet, die bar leergeräumt. alle türen und die fenster des theatersaals, die teils in das gebäude und teils nach außen gehen, wurden ebenfalls aufgemacht. es gab spuren von fatzer im haus und an der fassade des grütli, große tafeln in der farbe der hocker mit fatzer-zitaten.

die züge sowie der inspizientenraum waren sowohl dem spieler, als auch dem zuschauer zugänglich. das theater wurde in seinen funktionen offengelegt, eine räumliche trennung von zuschauer und spieler war nicht mehr vorhanden. der bezug zur aussenwelt war real durch sichtbar vorbeigehende füsse von passanten. der theaterraum wurde zum zitat seiner funktion. die illusion fand nicht mehr statt. lichteffekte ausser durch wechselndes tageslicht durch die fenster waren nicht vorhanden. jeder der räume wurde in seinem funktionslicht benutzt, d.h. es gab unterschiedliche lichtqualitäten bei unterschiedlicher raumgrösse und struktur, wobei alle räume miteinander verbunden waren.

die zentralperspektive war abgeschafft, da es keinen punkt in der raumanlage gab, von dem aus man alles überblicken konnte. die spieler sahen sich nicht immer, der zuschauer mußte sich entscheiden, wohin er sich bewegte, im bewußtsein stets etwas zu verpassen. die wahl des blickwinkels und der akustischen auswahl lag beim betrachter; ebenso die entscheidung, inwieweit er sich räumlich thematisiert oder in kommunikation mit den spielern tritt.

den zuschauern war immer alles zugänglich. als angebote gab es einzeln gestellte hocker in der gesamtraumanlage, deren anordnung sich aus den jeweiligen räumen ergab. ein weiteres angebot waren auf den boden geschriebene schriftspuren mit fabelentwürfen von brecht zu fatzer, die die räume verbanden: den zuschauer lesend zu bewegung animieren.

die raumstruktur für die spieler war rigider geordnet.

für jede arbeitsphase gab es eine räumliche grundstruktur:

I
die spieler des fatzerchors durften sich nur ausserhalb des zentralen theaterraums bewegen, ihn nur durchqueren, aber keine aktionen entwicklen. bei jeder ansage eines fragmentwechsels, die von mir laut während der aufführungen angesagt wurde, mußte jeder spieler auf seinen körperlich genau von ihm bestimmten (manchmal von mir korrigierten) ausgangspunkt zurückkehren und wieder beginnen für das nächste, von ihm nicht im voraus im ablauf gewusste fragment. der spielerin des kommentartexts war während der 1. arbeitsphase der zentrale theaterraum zugeordnet, wo sich zu beginn, aus gewohnheit, meist die größte anzahl von zuschauern befand. akustisch waren alle räume verbunden, dialoge fanden z t. über eine distanz von 30 metern statt. um jedoch die aktionen der spieler zu sehen, mußten sich die zuschauer zu einzelnen spielern hinbewegen, andere sichten erkunden.

II
in der II. arbeitsphase, bei der die texte weniger entwurfscharakter als theatral szenischen charakter haben, sammelten sich alle spieler im zentralen raum, um zu einer vorher angesagten reihenfolge mit den textfragmenten zu improvisieren. meine möglichkeit war, jederzeit einzuschreiten, zu unterbrechen, zu schneiden, indem ich vor beendigung eines fragments ein anderes ansagte oder währendessen die reihenfolge veränderte. dies war stets abhängig von den jeweiligen entwürfen der spieler, den reaktionen der zuschauer und dem rhythmus der kommunikation. d.h. die komposition fand hinsichtlich aller erwähnter bedingungen im augenblick statt, wobei material der improvisationen thematische fixierungen, genauere räumliche fixierungen, textliche fixierungen sein konnte (in der regel bestimmten die spieler, wer aufgrund welcher räumlichen konstellation welchen text sprach, wobei die genaue interpunktion und der fragmentinterne rhythmus eingehalten werden mußten. jeder spieler beherrschte den kompletten text in der präzisen rhythmischen struktur.)

die spielerin der kommentartexte, die sich immer in distanz zu den anderen spielern, aber dennoch in beziehung, verhalten mußte, bewegte sich und sprach die kommentartexte in den gängen, werkstätten, im foyer etc. jedoch durfte sie den zentralen raum nicht betreten.
während der ganzen aufführungszeit gab es einen für alle zugänglichen tisch, an dem material auslag und parallel an der übersetzung der arbeitsphasen 4 und 5 weitergearbeitet wurde.

III
in der dritten arbeitsphase war für alle spieler der gesamtraum frei (entwickelt aus der veränderten textqualität diese phase), mit der bedingung, den gesamtraum zu halten und immer in kommunikation zu bleiben, räumlich und akkustisch.
ein mögliches ende der versuchsreihe z.B. war mit dem fragment a 31, während dem alle spieler die raumkonstruktion verliessen und sich ausserhalb des theaterraums im kontakt zum innenraum an den unterschiedlichen fenstern positionierten. die zuschauer wurden im theaterraum zurückgelassen.

der ablauf wurde von abend zu abend variiert, unter verschiedenen inhaltlichen gesichtspunkten, wobei die räumliche grundstruktur der jeweiligen arbeitsphase gleich blieb. die dauer der öffentlichen versuche betrug zwischen 2 und 5 ½ stunden. unser erarbeitetes material umfasste ca. 7 stunden, was aus ökonomischen gründen aufgrund der auflage des theaters, drei wochen lang jeden abend zu spielen, nicht gezeigt werden konnte. was der erklärten absicht, die arbeit am fragment auch als solche zu behandeln und kein logisches ganzes zu konstruieren, nahekommt.


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