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claudia bosse / theatercombinat


7.2.2003 anatomie sade/wittgenstein - einmalige skizze im rahmen von «embody», halle g, museumsquartier, 1070 wien (a)

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publikation
buchrezensionen

eine theaterarbeit in 3 architekturen

111 minuten skizzen (ehemalige lederfabrik)

body and building under construction (IP.TWO)


body, building and theory under construction (IP.TWO)

 

am ende von anatomie sade/wittgenstein stand eine schnelle transformation des materials innerhalb von 10 tagen für die halle g des museumsquartiers, veröffentlicht als einmalige skizze von 2 1/2h im rahmen von «embody», einer workshop- und performancereihe des tanzquartier wien, kuratiert von mark tompkins.

ansatz war, sich den zentralperspektivischen repräsentationsräumen der halle g mit unserem körpermaterial anzunähern. zum ersten mal wurden die gesamte halle g, inklusive der hinterbühne, der bühne, des zuschauerraums und des unteren foyers bespielt. alle räume waren während der präsentation frei zugänglich.

das sprachmaterial dieses versuchs waren von den akteuren während des gesamten, im april 2001 begonnenen arbeitsprozesses erstellte protokolle. das geschriebene material war die aufzählung aller in «die 120 tage von sodom» vorkommenden körperteile/flüssigkeiten.


 

konzept, choreographie: claudia bosse; choreographie/ spiel: markus keim, andreas pronegg, christine standfest, doris uhlich und maya bösch, mitarbeit: martina luef, gini müller, mitwirkung: ingrid radauer, elfi sus, ilse urbanek.

einmalige aufführung, 7.2.2003

«embody»: tanz, performance, analyse, open lab, vortrag, film 30. jänner bis 15. februar tanzquartier wien / halle g tanzquartier wien / studios

unterstützt und ermöglicht von der stadt wien, brick 5, BKK-3 und tanzquartier wien.

dank an heinrich eder und team (techniker halle g/e), silke bake, josef szeiler und jonni winter


kontext «embody»

 

 

«embody - the act of being in which one is no longer representing but simply presenting»

künstlerInnen und theoretikerInnen aus wien und aus dem ausland waren der einladung des amerikanisch-französischen choreographen mark tompkins und dem tanzquartier wien gefolgt und arbeiteten zwei wochen zum thema embody/sexual identity miteinander. das projekt umfasste tanz, performances, open labs, analysen, vorträge, diskussionen und ein filmprogramm.

«wenn wir uns zu mehr präzision hinbewegen und von den bereits zu genüge publizierten, klischeehaften schlagworten sex und gender abrücken wollen (auch wenn ich durchaus gerne mit klischees spiele), sollten wir vielleicht weiter zurück und den zusammenhängen auf den grund gehen: sex und gender – sexuelle identität – identität. setzt man bei der identität an – so umfassend dieser begriff auch sein mag –, ist zu präzisieren, dass uns in diesem kontext vor allem die beziehung zwischen performer und publikum interessiert, allem voran die performance in echtzeit und deren konsequenzen auf den darsteller und seinen zeugen: was geschieht zwischen den beiden, wie beeinflussen sie einander, welche modulationen und brüche finden statt, während die performance abläuft. (...) darüberhinaus glaube ich, dass es im beobachten und darstellen einen zustand gibt, in dem wir für einen moment unsere vorgefassten ideen vergessen können und unseren sinnen und wahrnehmungen das steuer überlassen. diesen bewusstseinszustand nenne ich embodiment (verkörperung, darstellung).» mark tompkins


 


protokollauszüge 7.2.03  

d.u.
es riecht hier nach performance. dieser geruch und geschmack umhüllt unsere teilentblössten bzw. nackten körper und machen das material zu einem gutschmeckenden appetithäppchen, zu einer netten ausdrucksform. nicht, dass ich etwas gegen gefälliges habe. ich suche das gefällige auf einer anderen ebene. das heisst für unsere arbeit ein gefallen aus einem nichtgefallen heraus. ich will nicht zum teil der einrichtung hier werden...der runde arsch auf dem zuschauersessel, ach wie nett.
busenchoreographie im zuschauerraum. mein arsch versucht, den sessel zu fressen. mein arsch versucht, den sessel zu küssen. mein arsch versucht, die sitzknochen in den sessel zu stampfen. mein arsch versucht, sich am stoffbezug zu enthaaren.
die treppenkante bohrt sich in meinen rechten oberschenkel, meine nase schnupft leicht. ich lieg mit dem gesicht zum boden gewandt auf den treppen des zuschauerraumes, mit dem kopf voraus.
(...) im achten schritt. sitze in der ersten reihe, neben mir ein hübscher kerl. unterbreche die busenfolge, indem ich wie von der tarantel gestochen weglaufe, ziele in die hinterbühne. warte kurz, auf den richtigen moment. dann lauf ich wieder raus, lauf in eine menschenansammlung an der schwelle bühne-zuschauerraum hinein und kläsche mich auf den boden. steh auf, als wäre nichts gewesen, setze mich wieder in der feinen haltung auf den sessel in der ersten reihe und setze die busenchoreographie fort. ein freund wird mir im elften schritt beschreiben, dass man mein herz hätte schlagen sehen. kein wunder... ich hab die kläschfolge ja bedingt üben können...und jetzt hau ich mich voll rein. der hübsche kerl neben mir sitzt wie angewurzelt auf seinem sessel. der mund offen. mit dem hat er nicht gerechnet. ich unterbreche die busenfolge kurz mit einem privaten blick, mit dem ausdruck „puh, das war schon anstrengend“...und weiter geht´s.

die begegnung mit chris ist exklusiv, einer der momente, die einen finden und man selbst nicht finden kann. sie verlässt die wand, mich, meine beine, den raum. die „beine“ werden unterbrochen „normalität“, durch ein brechen der form, der haltung bzw. beidem, durch eine art spiegelung des blickes von einem zuschauer.

in diesem raum geht mir ein licht auf, was das „aus dem material treten“ sein kann. das rezept, was ich genau tue, kann ich noch nicht in worte fassen. ich bearbeite eine aufgabe, ich arbeite. diese arbeit öffnet das material, öffnet mich als spieler. wahrscheinlich geb ich dieser öffnung, die so natürlich entsteht, mehr raum, zeit und aufmerksamkeit.


a.p.
halle g
DER RAUM IST ANGEFÜLLT BIS ZUR ATEMLOSIGKEIT JEGLICHE UNTERSCHEIDUNG SCHEINT NIVELLIERT ZU SEIN DIE GRUND-VORAUSSETZUNG DER GEWOHNTEN BETRACHTUNGS UND DAR-STELLUNGSWEISE DER FREIGEHALTENE LEERE RAHMEN DER AB-STAND SCHAFFT FEHLT WENN ICH JETZT VOM ZUSCHAUERRAUM AUFSTEHE UND AUF DIE BÜHNE GEHE UND NICHT DIE NÖTIGE RUHE UND GELASSENHEIT AUFBRINGE ALSO NICHT WAS MEINE KÖRPERSPANNUNG ANGEHT MIT ANDEREN HUNDERTZEHN MEN-SCHEN IN DIESEM RAUM EINE ENTSPANNTE ERWARTUNG UND UNGEWISSHEIT TEILE SONDERN MIT UND IN MEINER KÖRPERS-PANNUNG AUF DISTANZ UND KONFRONTATION GEHE SCHAFFE ICH EINE FALLHÖHE DIE MIR IM WEITEREN VERLAUF DIESES ABENDS VON VORNHEREIN SPIELMÖGLICHKEITEN VON ANNÄHERUNG UND ENTFERNUNG MIT BETRACHTERN ERSCHWERT ODER AUSSCHLIESST NOCH DAZU WENN DURCH DIE SPIELSTRUKTUR MIT DEM DARAUFFOLGENDEN SCHREIEN DER PROTOKOLLE IN DEN ZUSCHAUERRAUM EIN DISTANZIERENDES ELEMENT FOLGT DAS DURCH DEN GANG AUF UND VON DER BÜHNE MEINE POSITIONIERUNG ZU DEN MITSPIELERN UND ZUSCHAUERN AUF DER BÜHNE UND DURCH BLICKE GEBROCHEN UNTERWANDERT WIE AUGENZWINKERND BEHANDELT WERDEN MUSS DIESES IM WEITEREN VERLAUF STÄNDIGE WECHSELN DER SPANNUNGEN DER ANNÄHERUNGEN UND ENTFERNUNGEN IST SOWOHL DURCH DIE SPIELSTRUKTUR GESETZT ALS AUCH DURCH DIE DER SPIELSTRUKTUR UN-TERWORFENEN SICH BEDIENENDEN DIESE SRECHENDEN WIDERSETZENDEN KÖRPERHALTUNG UND VERWENDUNG DES MATERIALS DAS SCHREIEN DIE SPRACHE VERWENDEN UM IHRE MATERIELLEN PRODUKTIVKRÄFTE FREIZUSETZEN DIE A.R.-BEITSVORGÄNGE DES ARTIKULIERENS PLASTISCH DARLEGEN DIE SCHREIBARBEIT AUFZEIGEN DIESER VORGANG VERSTECKT SICH IN DIESEN RÄUMEN ABER HINTER DEN BEWEGUNGEN ODER VERSTECKE ICH IHN WIR HABEN BISHER ANDERS GEARBEITET IN ARCHITEKTUREN CHOREOGRAFIEN GESETZT DIE MIT DEN REALITÄTEN DER RÄUME MIT DEREN RHYTHMUS MIT DEREN OFFENHEIT TAGES ODER NACHTZEIT OPERIERT HABEN UND DIESE VERSUCHT ZU TRANSFORMIEREN MIT UNSEREN KÖRPERLICHEN ELEMENTEN NEU ZU GESTALTEN UND ZU BENENNEN ABER TOTE RÄUME DIENEN LEDIGLICH ALS DEKOR MIR BLEIBT IN DER HINTERBÜHNE ZUM BEISPIEL DIE DUNKEL NIEDER UND BIS OBEN HIN ANGEFÜLLT IST MIT SCHEINWERFERN STÜHLEN ABDECKUNGSSTOFFEN NUR PLATZ FÜR EINE GRUSELSTUNDE UNSER MATERIAL IST NICHT IN UND FÜR DIESE RÄUME ENTWORFEN WORDEN IST IMMUN FÜR DIE KLASSISCHE BRUCH UND VERFREMDUNGSBEARBEITUNG SOLCHER HÄUSER KOMMUNIKATION MIT MEINEN KÖRPERTEILEN IN BEZUG ZU EINEM ODER MEHREREN BETRACHTERN KOMMUNIKATION MIT KÖRPERTEILEN EINES BETRACHTERS IN BEZUG ZU EINEM DRITTEN WEITERE TAUSENDSIEBENHUNDERTVIERUNDACHTZIG MÖGLICHKEITEN VON KOMMUNIKATION DIE IN EINEM OFFENEN VERHÄLTNIS UNTERSUCHT ERFAHREN UND AUSGELÖST WERDEN KÖNNEN UND MÜSSEN ERMÖGLICHT UND ERÖFFNET IM MOMENT DER BEGEGNUNG DAS KÖRPERLICHE MATERIAL HIERFÜR MUSS BEWUSST AUSGELOTET UND VERÄNDERBAR SEIN UND EIN ARSENAL AN UNTERSCHIEDLICHEN ENERGIEN BEINHALTEN HIERÜBER WIRD GESCHWIEGEN ODER ES IST EINE BEIDERSEITIGE UNTERFORDERUNG …

c.s.
festzuhalten finde ich den vorgang der einladung, der spezifischen, eine geste des versprechens, der freiwilligkeit. es ist kein deal und es gibt auch nicht das motiv "jetzt hab ich schon bezahlt, jetzt bleib ich auch" oder: das ist kunst, das versteh ich halt nicht, aber das gehört dazu, zur kunst, dass ich sie nicht verstehe. z.b. dachte ich, anfang august eine improvisation im rahmen von impulstanz besuchend, im project-space der kunsthalle, von benoit lachambre mit mark tompkins und meg stuart und harwood u.a. – hätten "die leute" – das heißt, die 30%, die nicht-kollegen waren, nicht 20 euro bezahlt und wären das keine namen, nach 10 minuten wäre die hälfte weg. was ich nicht schlimm fände. es wird nur nie der rahmen des interesses befragt.

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