theatercombinat | 02.09. - 30.09.2005 palais donaustadt – ein temporärer installativer kunstraum in der donau city wien mit ballet palais, firma raumforschung, archiv im palais, film im palais, picknick am wegesrand (a)

sprache: deutsch


kritiken

konzeption / installation
raum ist politisch

ballet palais
firma raumforschung
film im palais
archiv im palais
picknick am wegesrand

publikation: skizzen des verschwindens

 

gift, 06/2006

RAUM IST POLITISCH
Von Claudia Bosse

ausgehend von einer theaterpraxis, die die organisation von körpern, situationen und zeit, die kommunikation mit zuschauern, die arbeit mit texten und die kommunikation mit und in räumen als ausgangspunkte des theatralen arbeitens begreift, stellte sich die frage, von welchem raumverständnis wir oder jeder einzelne in unserer gemeinsamen theaterarbeit ausgehen.
bei der auswahl der unterschiedlichen orte in den letzten jahren gab es sowohl gemeinsamkeiten zwischen den orten als auch projektspezifische besonderheiten. die gemeinsamkeiten waren historische markierungen der jeweiligen orte in besonderen städtischen oder auch geopolitischen kontexten, wie auch eine für theatrale situationen herausfordernde architektonische struktur und dimension. die räume wurden immer ergriffen als readymades, sie wurden reflektiert auch in ihren „anderen“ nutzungen.
bei meinem ersten besuch in montenegro z.b. fiel für eine koproduktion mit dem nationaltheater montenegro und kampnagel hamburg mit dem text „mauser“ von heiner müller meine wahl auf ein schwimmstadion, gebaut in den zeiten sozialistischen aufbruchs in den 70iger jahren, inzwischen heruntergekommen, als teil eines sportstadion-komplexes, in dem weiterhin trainiert wird. nur in den becken des mit 2000 sitzen bestückten ca. 3.500 m2 grossen schwimmstadionrundbaus wurde inzwischen ping-pong trainiert. der historische kontext des ortes wurde zur folie für den die immanenten strukturen eines revolutionierungsprozesses zur grundlage habenden text, geschrieben in den 70ziger jahren. das nur als beispiel.
in den jeweiligen architekturen und orten wurden raumsituationen installativ oder performativ initiiert, die in bestimmten zeitstrukturen mit zuschauern, beobachtern, geteilt wurden.
die räume, die sich draus ergaben, waren immer das produkt der im moment stattfindenden aushandlungsprozesse zwischen publikum und akteuren.

theater ist die organisation von zeichen in situationen

theater ist abhängig von den anderen künsten, das liegt im medium und weil es gesellschaftlich ist, und es ist abhängig von den wissenschaftlichen, kunsttheoretischen und politischen diskursen, weil aus diesen unterschiedlichen wissenbereichen das material für die umsetzung in das medium des theaters kommt.
die raumfrage als politische, gesellschaftliche und ästhetische frage war immer eine wesentliche. aber das bewußtsein darüber ist heute ein anderes und es hat eine andere virulenz. das hängt mit den veränderungen des begriffs des territoriums zusammen und der zunehmenden ermangelung von kollektiven aushandlungsräumen. wo existieren orte, an denen mehrere gleichzeitig anwesend sind, in gewisser weise eine geteilte zeit existiert und kollektiv bedeutung produziert wird? wo gibt es orte die zu aushandlungsräumen werden, sagen wir, zu kollektiven räumen von aushandlungsprozessen?ein 3teiliges theaterprojekt

firma raumforschung
wir initiierten als theaterpraktiker und nicht theoriespezialisten unter dem titel firma raumforschung für 4 monate einen temporären diskursraum, den monatgsclubraum in einem ladenlokal in der westbahnstrasse, der regelmässig jeden montag material zu fragen der „produktion von raum“ (henri lefevbre) generierte und sammelte. lefebvre geht davon aus, dass raum nicht per se existiert, sondern einerseits materielle komponenten hat, andererseits ein medium ist und permanent sozial ausgehandelt und verschoben wird. es gibt ideelle, materielle und soziale aushandlungsvorgänge.die ausgangsfragen der firma raumforschung waren: wie lassen sich physikalische, philosophische, psychologische, planerische, administrative, architektonische, politische, ästhetische und schließlich künstlerische praxen, die den raum verhandeln (d.h. seine organisation, definition, konstitution, produktion und verwertung) unterscheiden, gegenüberstellen, in ihrer verbindung und in ihrer konkurrenz präzisieren und innerhalb oder über diese kontroversen hinaus gestalterische /gestaltende einsätze in den öffentlichen raum und den kunstraum dieser stadt entwickeln?
die beiträge, vorträge, projektvorstellungen, diskussionen kamen aus bereichen der philosophie, kunstgeschichte, soziologie, architektur, chroeographie, performance, musik und kulturwissenschaft, der politischen kunsttheorie und der stadtverwaltung. es bildete sich ein gemischtes publikum, das die aufgeworfenen diskurse mitbetrieb und befragte, ein kommunikationsort, ein präzisierungsort, zwischen den sonst eher getrennten bereichen, an dem die sprache als medium der kommunikation immer mehr in den mittelpunkt geriet als methodisches und terminologisches vehikel der differenten ideologien, anschauungen und praktischen methoden.
(eine publikation ist in planung. die dokumentation liegt vor unter www.theatercombinat.com/raum.htm).

où est donc le tableau

parallel zur firma raumforschung begannen wir mit der choreographischen theaterarbeit „ou est donc le tableau“, die im april 2005 in den nestroysälen gezeigt wurde. das material der raumforschung floss ein in unsere probenarbeit, wurde zu choreographischem material. am ende dieses prozesses standen 5 fassungen zwischen 70 und 120 minuten, die für diesen raum entwickelt wurden: eine choreographie mit texten, eine theatrogaphie im raum mit der kombination von heiner müllers bildbeschreibung und michel foucaults „las meninas“ aus „die ordnung der dinge“. die frage des bildes wird zur frage von repräsentation und wahrnehmung, zur frage der bezeichnung durch wörter, deren gebrauch und bezweifeln zugleich. die arbeit wurde entwickelt für jeweils 3 beobachter/zuschauer, die spezifisch differente blick- und raumpositionen und -funktionen zugewiesen bekamen. die beobachter/zuschauer waren teil des stattfindenen performativs, ihre sich kreuzenden blicke, die repräsentation ihrer körper teil des gesetzten theatralen geschehens.

palais donaustadt: ein temporärer kunstraum in der donaucity
theater, diskurs, installation

ab mai 2005 werden die diskursarbeit und die theaterarbeit innerhalb einer installation zusammengeführt und räumlich verbunden. firma raumforschung wird versuchen, die fragen und die situation der wissensproduktion zwischen den disziplinen in einem weiterentwickelten format fortzuführen. nach langer suche und verhandlungen können wir auf einem noch nicht bebauten grund in der donaucity einen temporären 8000 m2 grossen kunstraum installieren, in dem die theaterarbeit weiterentwickelt und die firma raumforschung ihre fortsetzung finden wird: ein öffentlicher raum im städtischen kontext entsteht, in dem theaterpraxis, diskurs und städtische öffentlichkeit nicht getrennt sind; ein temporärer raum, der sich verändert, der in einer schon vorhandenen öffentlichkeit und einem spezifischen sozialen umfeld besteht, wie auch im umfeld einer durch entsprechende bauten repräsentierten ökonomie, der dort für eine zeit theater und kunst anders denken lässt.

andere räume
wenn man kunst nicht in blackboxes und white cubes produziert – also in quasi kontextneutralisierten kunsträumen –, dann ergibt sich die frage, wie man sich mit den voraussetzungen dieser räume und kontexte auseinandersetzt. in der arbeit in räumlichen oder kontextuellen ready-mades, wenn man in diese keine bühnen baut, konfrontiert man sich mit den strukturen, mit der geschichte und auch mit dem kontext des jeweiligen raumes.
unser ansatz ist, nicht imaginationsräume oder fluchtlinien von der gesellschaft zu schaffen, sondern auf grund aesthetischer versetzung, nennen wir es theater, soziale praktiken und gesellschaftliche voraussetzungen sichtbar und materialisierbar zu machen, um diese mit dem mittel des theaters und seiner repräsentationsstrategien zu untersuchen und zu befragen. die voraussetzung dazu ist die schaffung anderer räume für theater, weil räume die bedingungen und möglichkeiten schaffen für andere theatrale formen.


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